Urteil: Ein Tattoo nur mehr nach Test.. Skurriles aus dem von mir sehr geschätzten Nachbarland…

Urban Slamal überrascht. Skurriles aus dem von mir sehr geschätzten Nachbarland… Auch wenn ich mich grundsätzlich weigere, Urteile zu kommentieren, die ich nicht selbst gelesen habe und deren tatsächlichen Hintergründe ich nicht ganz genau kenne, erscheint es mir – schon weil ich ahne, dass ich hierzu in den kommenden Tagen verschiedene Anfragen bekommen werde – ratsam, hierzu einige Gedanken zu Papier zu bringen: Wollte man ein solches Urteil in der BRD sprechen wollen, müsste man – wie es wohl auch das Grazer Gericht tat – unterstellen, dass einen Tätowierer nicht nur die Pflicht trifft, sich bei jedem eigenen Kunden nach dem Vorhandensein von Allergien zu erkundigen (das müsste man m.E. tatsächlich verlangen dürfen) sondern auch durch eine Art „Probestechen“ vorab zu vergewissern, dass keine allergische Reaktion eintritt.

Dies halte ich für eine derart alberne Idee, dass ich mal kurz erläutern möchte, warum:

1. Man unterstelle mal, ein Kunde /eine Kundin wolle ein aufwändiges Realistic-Backpiece. Benötigte Farbtöne: So ca. 20-30 (von denen ich als Tätowierer ja mitunter auch vor Beginn des Werks noch gar nicht weiss, welche ich konkret zum Einsatz bringen werde). Soll ich jetzt tatsächlich verpflichtet sein, mit allen in Betracht kommenden Farben vorab kleine „Probetattoos“ zu stechen?

2. Schwerwiegende allergische Reaktionen treten regelmäßig erst bei Überschreitung einer gewissen Schwellenexposition mit dem Allergen auf. In aller Regel wird ein kleiner Punkt auch im – ohnehin extrem seltenen Fall – einer Allergie keine Reaktion auslösen. Ich erinnere mich noch an einen Vortrag des von mir sehr geschätzten Dr. Jørg Serup, der berichtete, dass es ihm bei keinem der von ihm bisher behandelten Fälle von Allergien auf Tätowierfarben (es waren derer 60) gelungen war, mittels eines Patch-Tests eine sichtbare Immunantwort zu produzieren. Eine Erklärung hierfür wäre ebenfalls, dass eben erst ab einer gewissen Expositionsmenge mit entsprechenden Reaktionen zu rechnen ist.

3. Allergische Reaktionen treten mitunter erst extrem verzögert auf. Mitunter kann so etwas noch nach Monaten oder gar Jahren passieren. Wie lange sollte denn bitte ein Tätowierer nach Durchführung des „Probestechens“ warten, bis er erneut zur Nadel greift um den Kunden schlussendlich zu tätowieren.

4. Es sind in der Literatur Fälle beschrieben, bei welchen eine allergische Reaktion bei einer Tätowierung erst nach Jahren und dann erst nach dem Stechen einer weiteren Arbeit auftraten (auch hier wird die erste Tätowierung die Sensibilisierung hervorgerufen und die zweite erst die Allergie ausgelöst haben – verrückterweise aber in der ersten Arbeit). Vor diesem Hintergrund könnte z.B. auch die erstmalige Exposition mit der allergenen Farbe lediglich eine Sensibilisierung hervorrufen (und dies natürlich unbemerkt) und die spätere Tätowierung dann eine allergische Reaktion zeigen, die ohne vorhergehende Sensibilisierung sogar ausgeblieben wäre. Wenn man sich dann noch klar macht, dass der Beruf des Tätowierers – jedenfalls bei uns – keine besondere Ausbildung – insbesondere auch keine medizinischen Fachkenntnisse – erfordert, wäre die Verpflichtung, diesen trotzdem zur Durchführung eines Allergietests (denn um nichts anderes handelt es sich hier) anzuhalten, ziemlich abenteuerlich.

Aus all diesen Gründen hätte ich meine Zweifel, ob ein deutsches Gericht (soweit ihm durch die Parteien die nötige Sachkenntnis vermittelt würde) zu einem ähnlichen Urteil käme. Aber man darf nicht vergessen: Jeder Anwalt (auch ich) hat schon Urteile „kassiert“ mit denen er nie im Leben gerechnet hätte und auf dessen Ausbleiben er zuvor eine beliebige Summe gewettet hätte.

So sehr ich den Spruch hasse, vor Gericht und auf hoher See sei der Mensch allein Gott unterworfen (einfach, weil er nicht stimmt), so sehr kommen manchmal eben doch objektiv einfach falsche Entscheidungen vor. Urteil: Ein Tattoo nur mehr nach Test Kundin klagte Tattoostudio und bekam Recht, obwohl Allergie zuvor unbekannt war. Berufsstand verunsichert.

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Erstellt von RA Urban Slamal

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